Kulturmarathon Bad Reichenhall – ein Erfolg für die Kultur und die Stadt
1600 Besucher– ca. 155 Kulturschaffende – 22 Orte – 24 Stunden
Um 17.24 Uhr am 15. November 2024 versammelten sich ca. 350 Menschen am Rathausplatz um der Ouvertüre des Kulturmarathon beizuwohnen. Zarte Klänge von Flöten, nur zu hören von den unmittelbar Umstehenden, aber nach und nach fanden sich Bläser aller Arten ein um mit der „Ode an die Freude“ durch die Stadtkapelle Bad Reichenhall dem Kulturmarathon einen bezaubernd schönen Auftakt zu verschaffen.
Zeitgleich im evangelischen Pavillon startete die 24-Stunden Lesung mit einem großen Text, der Bergpredigt, vorgelesen von Pfarrer Florian Herrmann. Tatsächlich geistig aber in der Folge auch körperlich war der Kulturmarathon eine Bergbesteigung, die immer wieder in zahlreichen kleinen Momenten die Besucherinnen und Besucher herausforderte, überraschte, bezauberte, belustigte und nicht zuletzt ein Fest der Kultur war.
Dieser Schwung beim Auftakt fand seine kongeniale Fortsetzung in der Wandelhalle im Kurpark in der ca. 60 Reichenhallerinnen und Reichenhaller unter Anleitung das Tanzbein schwangen. Bei der Lesung des Bestsellers „Lindt & Sprüngli“ von Lisa Graf platzte das Pfarrheim St. Nikolaus aus allen Nähten gleich gefolgt – eine wenig gehetzt, aber nicht weniger begeisternd – vom Filmstart über den Giesinger Bräu im Park Kino im vollbesetzen Kinosaal. Apropos Bräu: Im altehrwürdigen Bürgerbräu tanzten und musizierten die Saalachtaler, das einem Hören und Sehen verging, wo Tracht und Brauchtum nur noch gesteigert wurden durch Essen und Trinken in der Wirtschaft, beinahe erinnernd an den Roman „Erfolg“ von Lion Feuchtwanger in denen die Milieubeschreibungen das bayerische Lebensgefühl anschaulich machen.
„Was bin ich?“: in leichter Abwandlung einer berühmten Ratesendung lud das Reichenhall Museum dazu ein, Objekte aus der Sammlung zu begutachten und dabei auch das Gegenüber besser kennenzulernen. Auch hier war die Lust und die Neugier Ausgangs- und Endpunkt von Begegnung und dem Gefühl, das Jeder und Jede mitmachen kann. Keine verkopfte oder befremdliche historische Einordnung, sondern die Freude am Entdecken, Diskutieren und immer wieder das Glück die richtige Bedeutung bzw. Verwendung für das Objekt gefunden zu haben.
Kaffee schien ohnehin das Getränk der Wahl zu sein, um die Nacht zu überstehen. Doch vor dem Genuss stand die Möglichkeit, sich von Christian Kachel in seiner Rösterei mehr zum Kaffee, seiner Geschichte und Zubereitung erzählen zu lassen – und man muss sagen zum Glück waren die Besucherinnen und Besucher geduldig. Auf wenig Raum aber mit viel Interesse an der Sache konnte einem beinahe so heiß werden wie den Bohnen in der Röstmaschine.
Jetzt ist es 21.24 Uhr – oder 12.24 Uhr in Los Angeles
Blue Skies – das neue Buch des US-amerikanischen Autors T.C. Boyle ist nicht nur eine literarische Offenbarung, sondern zeigt uns den blauen Himmel als doppeldeutiges Motiv. In der Galerie01 von transfer ideas ist alles Blau. Philosophische Gedanken zwischen Himmel und Hölle, Diskussionen über die Temperatur im doppelten Sinne: dem Klima und der Temperatur von Blau.
Licht und Schatten – ein Thema, dass viele Künstlerinnen und Künstler beschäftigt, war auch das Hauptaugenmerk beim Fotoworkshop in St. Nikolaus bei dem sich die Fotografinnen und Fotografen teils abenteuerliche Perspektiven suchten. Der bekannte Reichenhaller Kabarettist Stefan Schimmel performte dann in der evangelischen Kirche auch vor mehr als 40 Gästen über das Thema „Was ist Kunst?“. Und wer es vorher nicht wusste, der konnte danach zumindest sagen, man war gerade dabei als die höchste Kunst der Sprache zur Aufführung kam.
Den Abschluss am Freitag bildete die Vernissage der Ausstellung Lieblingsstück. Mit mehr als 40 Kunstwerken aus den Haushalten in Bad Reichenhall und der direkten Umgebung konnten die zahlreichen Besucher und Besucherinnen der Eröffnung einen Blick in die Wohnzimmer werfen. Vom traditionellen Porträt und Stillleben aus dem 19. Jahrhundert bis hin zu abstrakten Werken aus dem Jahr 2024 zu denen man mit Kunstfreunden und Künstlern über Sinn und Bedeutung diskutieren konnten war alles dabei.
Zu Beginn des Rückzugs in die Wärme des evangelischen Pavillons zum Eintauchen in die große Lesenacht wartet um halb eins Oberbürgermeister Dr. Christoph Lung, um den kleinen Grenzverkehr von Kästner zu regeln. Wie gesagt der Auftakt in eine intensive Lesenacht von Schimmelreitern im hohen Norden, über Außerirdische, irdische, mythische und mystische Begegnungen. Wir sind begeistert, dass selbst in diesen Stunden zwischen 5 und 20 Hörer und Hörerinnen zugegen waren.
Die sternenklare und Vollmond-Nacht endet mit einem erfrischenden Bad im Klosterhof – leider nicht für alle, denn der Andrang war so groß, dass spätestens zu diesem Zeitpunkt klar war, warum Schwimmen eine Kulturtechnik und ein Kulturgut sein kann. Dass dieses Vergnügen dann noch musikalisch aufgewertet wurde durch Alphornklänge, deren Klarheit und Tragweite die Verbindung von Natur und Kultur aufs eindrücklichste erfahrbar machten, befriedete und beglückte die Enttäuschten.
In den Morgenstunden blieb der Kultus ein Begleiter für die Besucherinnen des Kulturmarathons und zeigte die Bedeutung der christlichen Religion auch in unseren Breiten. Dass Bad Reichenhall geschichtsträchtig ist, ist uns allen bekannt, dennoch verblüfften uns mehr als 20 Teilnehmende an der Oxentour durch die Poststraße. Eine Stadtführung auf den Wurzeln der ehemaligen Post – zwar ohne Ochsen aber mit Bläsern, die die Post und die neuesten Nachrichten ankündigten.
Am späteren Vormittag des 16. November ging es wieder zurück ins Reichenhall Museum, um beim workshop „Gesichter einer Stadt“ dabei zu sein bevor die „Bad Reichenhaller Stadtmusikanten“ der Haller Kinderchöre im KUB Forum/vhs Bad Reichenhall ein volles Haus bescherten und mit ihren Stimmen den Saal zum Klingen brachten.
Um 12.24 Uhr stauten sich in der Fußgängerzone vor dem Kaufhaus Juhasz Passanten wie beim Black Friday. Aber auch hier war Kultur der Grund. Das bewegte Schaufenster mit Tänzerinnen der Ballettschule zeigte das das bewegte Bild nicht digital, sondern auch analog sein kann. Anstatt das sich die Passanten die Nase wegen Kleidung oder Accessoires an der Scheibe plattdrückten, bestachen die Tänzerinnen durch Anmut, Lässigkeit und glitzernden Outfits und nicht wenige der Passanten fühlten sich ebenfalls bewegt.
2 Stunden später war die Alte Saline der Mittelpunkt des Kulturmarathons. Das magazin3, Standort des gerade 20 Jahre alt gewordenen Sternenzelt e.V. öffnete seine Türen und bot die Gelegenheit in größeren Gruppen und mehrfach annähernd sämtliche Geheimnisse backstage zu erkunden und von den kompetenten Mitarbeitenden eingeführt zu werden.
Der Volkstrauertag stand vor der Tür und die Andreas Hofer Gesellschaft veranstaltetet in den Räumen der Kunstakademie das 2. Stadtrequiem, das nicht nur mehr als 100 Gäste hören wollten, sondern dessen musikalische Qualität absolutes Top Niveau hatte. Ergänzt wurde die Aufführung durch eine Installation des Reichenhaller Künstler Hubert Grassl, dessen Lebenszyklus Zeichnungen im Strich und der Raffinesse durchaus den Künstlern des Simplicissimus entsprach und in nichts der hochklassigen musikalischen Performance nachstand.
Zwei Mittschnitte des Konzertes der Andreas Hofer Gesellschaft finden Sie hier auf YouTube:
Heinrich Schütz – Seelig sind die Toten
Johann Hermann Schein – Das Leben währet siebenzig Jahre
Besonders schön war, dass musikalische Perfektion der Erwachsenen zeitgleich auf die Talente der Zukunft im magazin3 traf, wo die Musikschule Freilassing ihren Nachwuchs präsentierte.
Den Abschluss des Kulturmarathons bildete eine Podiumsdiskussion in der Reihe der Reichenhaller Resonanz zur Frage, ob Bad Reichenhall eine Kulturstadt sei mit Oberbürgermeister Dr. Lung, Ursula Friedsam vom Stadtmarketing und Dr. Neubauer vom Verein für Heimatpflege. Während alle Beteiligten Bad Reichenhall insbesondere mit dem Kulturmarathon als eine Hochburg der Kultur wahrgenommen hatten, haben Harald Labbow und Stefan Wimmer kritisch nachgefragt inwieweit die Stadt und das Stadtmarketing Kultur strategisch einsetzen wollen. Dies wurde trotz der Begeisterung über den Kulturmarathon aber nicht als eigene Aufgabe wahrgenommen und die Kultur wird hier auch in Zukunft auf sich gestellt bleiben.
Den krönenden Abschluss unsere 24 Stunden Lesung mit 48 Vorleserinnen und Vorlesern ging leise zu Ende und erinnerte uns mehr als einmal daran, dass Kultur ein Gemeinschaftserlebnis ist, dessen besondere Qualität und Zauber im Hier und Jetzt und vor Ort in Präsenz sich entwickelt.
In diesen 24 Stunden und nicht weniger im Nachgang in vielen Gesprächen wurde die Freude und der Spirit der Kultur in Bad Reichenhall spürbar und ruft nach einer Wiederholung im kommenden Jahr.
DANKSAGUNG
Nicht vergessen möchten wir, dass dies nur durch das große Engagement aller Beteiligten möglich war und unser Dank gilt Ihnen allen. Nicht weniger danken wir den Förderern des Projektes:
Bürgerstiftung Berchtesgadener Land der Sparkasse
Bürgerstiftung Berchtesgadener Land der Volks- und Raiffeisenbank
Stadtwerke Bad Reichenhall KMU
Lions Club Bad Reichenhall
Rotary Bad Reichenhall